Gemeinsamer Brief von Christoph Degen, Bettina Müller und Dr. Sascha Raabe zum Koalitionsvertrag
Es war ein hartes Ringen um den Koalitionsvertrag und es hat – wie von Andrea Nahles angekündigt – gequietscht bis zum Schluss, aber nun ist es vollbracht: Die Verhandlungen mit CDU und CSU über die Bildung einer Koalition sind erfolgreich abgeschlossen worden. Jetzt haben die SPD-Mitglieder, wir alle also, das letzte Wort.
Keiner von uns wird sich diese Entscheidung über den Koalitionsvertrag leicht machen. Niemand in der SPD hat sich nach der enttäuschenden Bundestagswahl eine erneute Große Koalition gewünscht. Ebenso klar war aber auch, dass wir uns, nachdem sich Christian Lindner feige aus der Verantwortung gestohlen hatte und Jamaika gescheitert war, der Bitte des Bundespräsidenten nach Koalitionsgesprächen nicht entziehen konnten. Unser Parteitag hat daher richtigerweise für Verhandlungen gestimmt. Jetzt liegt das Ergebnis vor, und wir wollen euch eine Einschätzung dazu geben.
Aus unserer Sicht ist der Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für den Eintritt der SPD in eine neue Bundesregierung. Wir sagen das bei allem Respekt vor all denen, die aus verständlichen grundsätzlichen Erwägungen gegen eine erneute GroKo sind. Wir glauben, dass wir mit den jetzt getroffenen Vereinbarungen in den nächsten Jahren wirklich Gutes für die Menschen in unserem Land erreichen können.
So haben wir zum Beispiel die Wiedereinführung der Parität in der Krankenversicherung, Entlastungen bei den Sozialversicherungsabgaben und die Abschaffung des Solidaritätszuschlages für 90 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler durchgesetzt. Das sind Maßnahmen, die besonders kleine und mittlere Einkommen entlasten. Und es ist ein Beitrag zu mehr Verteilungsgerechtigkeit, weil der Soli für die oberen zehn Prozent der Steuerzahler bestehen bleibt. Wir sorgen dafür, dass Wohnen bezahlbar bleibt, indem wir Familien durch ein Baukindergeld beim Erwerb von Wohneigentum unter die Arme greifen und indem wir die Mittel für den sozialen Wohnungsbau massiv aufstocken. Wir stärken darüber hinaus Mieterinnen und Mietern durch die Begrenzung der Modernisierungsumlage und eine Verschärfung der Mietpreisbremse.
Ein besonderes Augenmerk haben unsere Verhandler auf die Bereiche Bildung und Ausbildung gelegt – und hier ganze Arbeit geleistet: Wer hätte gedacht, dass wir die Union zu einer Aufhebung des Kooperationsverbotes in der Bildung, zu einem Einstieg in die Gebührenfreiheit in den Kitas, zu einem Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter und zu mehr BaföG und einer Mindestausbildungsvergütung bringen würden? Mit all dem erreichen wir eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und schaffen endlich mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit in der Bildung – ursozialdemokratische Anliegen. Durchgesetzt haben wir uns auch bei der Rente. Die Sicherung des Rentenniveaus bei 48 Prozent, eine Solidarrente, die 10 Prozent oberhalb der Grundsicherung liegt, und Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente sind wichtige Schritte zur Stabilisierung der gesetzlichen Rente und im Kampf gegen die Altersarmut. Wir verbessern die Bedingungen in der Pflege mit einem Sofortprogramm mit 8.000 neuen Stellen allein für die medizinische Behandlungspflege in Alteneinrichtungen. Darüber hinaus verbessern wir die Situation im ländlichen Raum durch präventive Hausbesuche und eine bessere Finanzierung der ambulanten Pflege.
Mit dem Europakapitel ist uns ein wirklich großer Wurf gelungen. In fast allen Punkten haben wir unsere Vorstellungen von einem sozialen und solidarischen Europa 1:1 im Koalitionsvertrag festschreiben können. Wir schaffen einen echten Sozialpakt mit europäischen Mindestlöhnen und gerechter Unternehmensbesteuerung. Wir konnten auch durchsetzen, dass die EU künftig faire Handelsabkommen mit starken durchsetzbaren sozialen Standards und Arbeitnehmerrechten abschließen soll, um Fluchtursachen zu vermindern sowie Arbeitsplätze und gute Löhne in Deutschland zu sichern.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir uns natürlich nicht mit all unseren Forderungen durchsetzen konnten. Wir hatten uns beim Familiennachzug für subsidiär Geschützte mehr gewünscht, aber wir werden immerhin 1.000 Angehörigen pro Monat und zusätzlich Härtefällen den Nachzug wieder ermöglichen. Und wir haben die von der CSU geforderte Obergrenze für Flüchtlinge abwehren können. Eine Bürgerversicherung in Reinform ist mit der Union leider nicht zu machen. Aber wir haben wie vom Parteitag beschlossen, den Einstieg in das Ende der Zwei-Klassen-Medizin durchgesetzt und die Stellung von gesetzlich Versicherten deutlich verbessert. Wir haben auch wichtige Regelungen zur Beendigung des Missbrauchs von befristeten Arbeitsverhältnissen durchgesetzt!
Liebe Genossinnen und Genossen, wir teilen die Ansicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes, dass nur mit der SPD in der Regierung Arbeitnehmerrechte gestärkt und eine soziale Politik verwirklicht werden kann. Um als SPD stark in der Regierung und nach außen sichtbar zu sein, haben wir uns mit dem Finanzministerium das entscheidende Schlüsselressort und weitere wichtige Ministerien (Außen-, Arbeits- und Sozial-, Justiz-, Familien- und Umweltministerium) gesichert. Wir respektieren diejenigen, die den Weg der Regierungsbeteiligung jetzt trotzdem für falsch halten. Wir geben aber auch zu bedenken, dass wir als Alternativen die CDU nicht zu einer Minderheitsregierung zwingen können und Neuwahlen würden -vorsichtig formuliert- vermutlich auch keinen besseren Ausgang erwarten lassen. Wir wissen, dass viele noch unentschlossen sind und Fragen haben. Bitte nehmt euch die Zeit, den Vertragstext genau zu lesen. Gerne möchten wir dann auf dieser Grundlage mit euch darüber diskutieren. Dazu laden wir euch zu folgenden Diskussionsforen ein:
– mit Sascha Raabe am 15.02. um 19:30 Uhr in der Sandelmühle in Hanau und am 24.02. um 13.00 Uhr im Bürgertreff in Oberrodenbach.
– mit Bettina Müller am 17.02. um 14.00 Uhr im Bürgerhaus Wächtersbach.
Wir freuen uns auf die Diskussion mit euch!
Mit solidarischen Grüßen
Christoph Degen, Bettina Müller, Sascha Raabe