In Berlin, Stuttgart und anderswo werden Polizisten und Rettungskräfte mit Böllern und Schusswaffen attackiert. Rettungsdienste wie Feuerwehr und Sanitäter kommen, um Menschen in Not zu helfen oder um Leben zu retten. Dabei sind sie vollkommen schutzlos. Dass sie bei ihrer Arbeit nicht nur gestört, sondern sogar beschossen werden, offenbart ein besonderes Maß an Skrupellosigkeit und Gewalt, das erschreckt.
Wer nun pauschal die Verrohung unserer Gesellschaft diagnostiziert, muss aber zur Kenntnis nehmen, dass die Gesamtzahl der Gewaltdelikte zurückgeht. Problematisch ist allerdings, dass die Brutalität und Übergriffe auf Beamte und Rettungskräfte zugenommen haben. Das Ziel sind also Eliten und deren Organe.
Was können wir tun? Wie müssen wir reagieren?
Die Forderung nach einer Verschärfung der Gesetze, wie sie von Teilen der hessischen Landesregierung geäußert wurde, ist kopflos.
Fakt ist: Die Große Koalition in Berlin hat im letzten Jahr die Strafen für Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte verschärft. Nötig geworden war das Gesetz, weil Polizisten und Rettungskräfte alltäglich brutal attackiert werden, das ist die traurige Wahrheit.
Statt reflexhaft nach schärferen Gesetzen zu rufen, sollten sich Freunde schärferer Gesetze lieber die Einschätzung des Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt zu Herzen nehmen: „Letztlich muss die Justiz mit entsprechenden Urteilen dafür sorgen, dass auch der letzte Verrückte begreift, dass dies kein Spaß ist, sondern hier schwere Gewaltdelikte begangen werden“. Wichtig also: Der bestehende Strafrahmen muss voll ausgenutzt werden. Diesen haben wir im vergangenen Jahr schließlich auf fünf Jahre Haft erhöht und eine halbe Dekade Freiheitsentzug sollte ihre abschreckende Wirkung nicht verfehlen. Experten raten außerdem zu schnellen Sanktionen von Straftaten, um zu zeigen, dass es den Rechtsstaat gibt.
Doch da liegt der Hase im Pfeffer. Denn die besten Gesetze nützen nichts, wenn sie nicht durchgesetzt werden können. Gerade in Hessen ist die Justiz chronisch überlastet, bei Richtern und Staatsanwälten herrscht eklatanter Personalmangel. Die Verfahrensdauer liegt über dem Bundesdurchschnitt. Der Grund? Mit ihrer Personalpolitik hat die Landesregierung in den vergangenen Jahren diese desolate Situation herbeigeführt. Seit 2003 wurden 1200 Stellen in der Justiz abgebaut; das Maßnahmenpaket des Justizministeriums mit 250 neuen Stellen ist angesichts dieser Entwicklung nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Und: Um Gewaltexzesse wie an Silvester zu verhindern, müssen wir unbedingt in Integration und Bildung investieren. Wenn junge Menschen den Weg ins Berufsleben finden, stützen sie auch unser demokratisches Wertesystem. Nur wer in einem Staat lebt, der ihm eine Perspektive bietet, kann diesen auch respektieren.
Überhaupt müssen wir uns fragen, ob wir uns das Brauchtum der unbeschränkten Knallerei noch „leisten“ wollen. Die Bilanz an Neujahr ist immer wieder erschreckend: Neben dem Missbrauch von Böllern und Raketen als Waffen, gehören dazu abgerissene Gliedmaßen, Schwerverletzte und Tote, brennende Häuser und Wohnungen, traumatisierte Tiere, jede Menge Dreck und eine erhöhte Feinstaubbelastung. Über Vorschläge, die private Knallerei zeitlich auf eine Viertelstunde nach Mitternacht oder räumlich auf ausgewiesene Knall-Plätze zu beschränken, sollten wir zumindest nachdenken. Auch ein kunstvolles zentrales Großfeuerwerk könnte unseren Brauch bereichern und einen Guten Rutsch für alle ermöglichen – ohne böse Geister für diejenigen, die arbeiten, wenn andere feiern.